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Endlich: Der Ex-Botschafter darf ein paar wahre Worte sagen
Yves Rossier war 2017 bis 2021 Schweizer Botschafter in Moskau. Aus Anlass der heute beginnenden Tagung zum Wiederaufbau der Ukraine in Lugano haben die CH-Media-Zeitungen – Aargauer Zeitung, St. Galler Tagblatt, Luzerner Zeitung und etliche andere Regionalzeitungen – mit ihm ein Interview gemacht, worin – zum ersten Mal seit einem halben Jahr in diesen Blättern – nicht nur Russland-Hass gefördert und zu noch mehr Krieg aufgefordert wird, sondern, wenn auch sehr zurückhaltend, auch die Politik des Westens kritisiert wird. Die Fragen stellten Doris Kleck und Benjamin Rosch. Globalbridge.ch erlaubt sich, drei Fragen und die dazugehörigen Antworten daraus zu zitieren – mit jeweils einer persönlichen Bemerkung von Christian Müller.
Frage: Und was geschah im Maidan 2014?
Yves Rossier: Hier ist die Lesart des Westens wirklich falsch. Das war kein Aufstand gegen einen Autokraten, es war fast ein Bürgerkrieg. Die Haltung des Westens führte damals dazu, dass die Ukraine wählen musste zwischen dem Westen und Russland. So etwas macht ein Land kaputt. Viel natürlicher wäre es gewesen, wenn die Ukraine eine neutrale Rolle gefunden hätte: als Brücke zwischen Osten und Westen, was sie auch in der Vergangenheit war.
(Bemerkung Christian Müller: Ich war im Jahr 2014 selber in der Ukraine. Grosse Teile der Ukraine, vor allem im Südosten und auch im Südwesten, unterstützten die Proteste auf dem Maidan absolut nicht. Sie wollten, dass der demokratisch gewählte Wiktor Janukowytsch Präsident ist und bleibt. Aber der Westen, insbesondere die USA, haben die Protestierenden mit viel Geld und auch mit persönlichen Auftritten auf dem Maidan aktiv unterstützt.)
Frage: Was hätte man denn in der Vergangenheit tun sollen? Russland in die Nato integrieren?
Yves Rossier: Russland wollte in die Nato. Aber die Amerikaner waren dagegen. Das war in den Neunzigern. Russland wollte auch in die EU. Das waren verpasste Chancen. Es gab weitere Gelegenheiten. 2008, Nato-Gipfel in Budapest: Da hat US-Präsident Bush den Kandidatenstatus für die Ukraine und Georgien durchgeboxt. Georgiens Premier Saakaschwili sah sich gestärkt, griff Südossetien an und tötete russische Soldaten. Voilà. Aber bis 2004 war das Interesse Russlands an Europa aufrichtig, bin ich sicher.
(Bemerkung Christian Müller: Gut, dass auch der ehemalige Schweizer Russland-Botschafter bestätigt, dass 2008 nicht die Russen, sondern die Georgier unter Saakaschwili den Krieg begonnen haben. In den USA wird bis und mit heute behauptet, die Russen hätten den Krieg begonnen, trotz der eingehenden Untersuchung unter der Leitung der Schweizer Top-Diplomatin Heidi Tagliavini.)
Frage: Was mögen Sie eigentlich an Russland?
Yves Rossier: Ein Land besteht vor allem aus den Leuten, die dort wohnen. Es ist ein wunderbares Volk, emotionale Menschen mit grossem Herzen. Und sie haben grausam gelitten: 50 Millionen Tote in drei Jahrzehnten, stellen Sie sich das einmal vor. Es gibt kein Land mit einer traurigeren Geschichte als Russland. Schriftsteller Solschenizyn sagte einmal: Der Wert der russischen Literatur sei es, dass sie den Leuten ermögliche, aufrecht zu stehen. Und das stimmt. Es ist ein wunderschönes Land mit grosser Tragik. Und jetzt dieser Krieg mit dem Brudervolk, der Ukraine, die bis 1991 zu Russland gehörte. Ich hatte eine Freundin am Telefon, sie weinte und sagte: Siehst Du, jetzt sind wir wieder die Barbaren für dreissig Jahre. Das bricht mir das Herz.
(Bemerkung Christian Müller: Wer öfter selber in Russland und auch auf der Krim war, der kann es nur bestätigen. Die Russinnen und Russen sind echt liebevolle und auch gegenüber Fremden ausgesprochen freundliche Menschen. Aber sie lieben eben auch ihr Vaterland. Die meisten Russen haben nur noch eine Oma, aber keinen Opa, weil dieser im Abwehrkampf gegen die deutschen Nazi-Truppen ums Leben gekommen ist. Deutschlands Vernichtungskrieg gegen Russland ist in Russland nicht einfach vergessen.)
Kleines PS: Dass gestern Sonntag die ukrainische Armee auch wieder Belgorod, eine russische Stadt auf russischem Boden, 80 km nordöstlich von Kharkiv, beschossen und dabei mehrere Zivilisten getötet hat, wird in den CH-Medien natürlich mit keinem Wort vermeldet, ebensowenig wie die Beschiessung der Stadt Donezk durch ukrainische Truppen. Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine ist in den CH-Media-Zeitungen – neben dem erwähnten Interview – so einäugig wie schon seit Monaten.
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